Jahresstipendien für Studienaufenthalte im Ausland: David Kratzert
Bitte stellen Sie sich kurz vor!
Ja sehr gerne. Mein Name ist David Andreas Kratzert, ich bin 26 Jahre alt und komme aus Bochum. Ich studiere im Master Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und bin zurzeit als DAAD-Stipendiat Student an der University of Nairobi in Kenia.
Was hat Sie dazu inspiriert, den ganzen Weg von Europa nach Ostafrika zu reisen? Warum haben Sie sich entschieden, im Rahmen Ihres Studiums nach Kenia zu gehen? Wo hat alles angefangen?
Begonnen hat meine Verbindung zum afrikanischen Kontinent und besonders zum östlichen Afrika tatsächlich durch eine zufällige Begegnung. Im Jahr 2016 reiste ich das erste Mal in meinem Leben in ein afrikanisches Land, nach Uganda, um einen Schulfreund zu besuchen, der dort seinen Freiwilligendienst machte. Ich buchte damals einen Flug mit Ethiopian Airlines und musste in Addis Abeba umsteigen. Im zweiten Flugzeug nach Entebbe saß ich dann neben einer äthiopischen Politikwissenschaftlerin. Durch mein Interesse an Politik kamen wir schnell miteinander ins Gespräch. Etwas beschämt musste ich feststellen, dass ich aus meiner Schulzeit so gut wie nichts über den afrikanischen Kontinent wusste, geschweige denn über die Menschen, die auf ihm leben. Mir war nicht einmal bekannt, dass es mit Äthiopien ein afrikanisches Land gibt, welches nicht kolonisiert gewesen ist. Dies hat mich wachgerüttelt mehr über den Kontinent und seine Gesellschaften zu erfahren.
Von hier an galt mein besonderes Interesse dann zunächst Äthiopien auf Grund seiner eigenen Geschichte. Ich wollte mehr erfahren, über das Leben der Menschen am Horn von Afrika, deren Kultur und besonders was sie über uns Europäer denken. Kurzum, ich wollte mit den Menschen von dort in den Dialog treten und durch sie eine neue Sicht auf unsere Welt kennenlernen. Am besten ließ sich dies dadurch Umsetzen, selbst nach Äthiopien zu ziehen und dort ein Jahr meines Bachelorstudiums zu verbringen.
Doch hierbei sollte es bei meinem Kontakt zum afrikanischen Kontinent nicht bleiben. Gerade durch seine Geschichte und die damit verbundene nationale Identität stellt Äthiopien eben eine Ausnahme auf dem afrikanischen Kontinent da. Dies wurde mir immer wieder im Austausch mit Menschen vor Ort bewusst, wenn die Selbstbeschreibung des Habesha-Seins als Abgrenzung zu anderen Afrikanern verwendet wurde.
Von daher entschloss ich mich gegen Ende meines Aufenthaltes in Addis Abeba dazu ein weiteres Jahr auf dem afrikanischen Kontinent zu studieren. Diesmal wählte ich mir bewusst ein Land aus, welches entgegengesetzt zu Äthiopien eine Kolonialzeit erleben musste und dessen nationale Identität durch die Befreiung von kolonialer Unterdrückung geprägt ist. Dies empfand ich als essentiell, um ein umfassenderes Verständnis für den afrikanischen Kontinent und seine Menschen zu entwickeln. Dabei fiel mein Blick auf Kenia. Gerade als Nachbarland Äthiopiens reizte mich Kenia sehr, um meine Erfahrungen in beiden Ländern vergleichen zu können. Und mehr noch, das politische Umfeld Nairobis durch das Büro der Vereinten Nationen und damit Nairobi als zentrale Schnittstelle von internationalen Beziehungen zwischen dem afrikanischen Kontinent und anderen Regionen der Erde bestärkten meine Wahl Kenias.
Sie waren an der Universität von Addis Abeba in Äthiopien und dann mit einem DAAD-Stipendium an der Universität von Nairobi. Bitte erzählen Sie uns mehr darüber. Was haben Sie studiert?
Also zuerst habe ich an der Addis Ababa University Social Anthropology studiert. In dem Jahr in Äthiopien lag mein akademisches Interesse vor allem im Verstehen der äthiopischen Gesellschaft, dem Zusammenleben der vielen verschiedenen ethnischen Gruppen in einem Staat und, wie schon angesprochen, in deren Blick nach Europa. Die immer weiter gestiegenen Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien in Äthiopien, die zuletzt für das Ausland in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Tigray offenkundig wurden, haben dann im weiteren Studium meinen Fokus etwas geändert. In meinem zweiten DAAD-geförderten Auslandsaufenthalt habe ich mich deshalb im Masterstudiengang Diplomacy an der University of Nairobi eingeschrieben. Dies gab mir zum einen die Möglichkeit mich genauer mit Konflikten wie dem in Tigray und deren Lösungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen, zum anderen aber auch wieder mit dem Blick nach Europa, diesmal aus kenianischer Perspektive.
Wie haben Sie vom DAAD erfahren? Wie hat die DAAD-Förderung zu Ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung beigetragen?
Berührungspunkte mit dem DAAD hatte ich durch mein privates und berufliches Umfeld bereits Jahre vor meiner ersten Bewerbung für den Aufenthalt in Addis Abeba. Durch den Bekanntenkreis meiner Eltern lernte ich schon als Kind Personen mit Kontakt zum DAAD kennen. Später tauchte während meines politischen Freiwilligen Dienstes der DAAD als neuer Arbeitgeber einer Kollegin von mir wieder auf und dann im Bachelorstudium auch als Förderwerk meines äthiopischen Sprachtandempartners. Da es zwischen meiner Heimatuniversität und der Universität in Addis Abeba keine direkte Zusammenarbeit gab, bot sich dann schließlich der DAAD als am besten geeignete Organisation zur Realisierung meines Auslandsaufenthaltes in Äthiopien an, und im Übrigen auch zuletzt zur Realisierung meines Auslandsaufenthaltes in Kenia.
Damit hat der DAAD bedeutsam zu meiner persönlichen und ich denke auch zu meiner zukünftigen beruflichen Entwicklung beigetragen. Durch die beiden Stipendien habe ich umfangreich die Möglichkeit gehabt in die Gesellschaften zweier afrikanischer Länder einzutauchen. So konnte ich mich selbst und eurozentrische Sichtweisen, die im Zusammenhang mit meiner Herkunft standen, hinterfragen und relativieren. In diesem Prozess bin ich Teil eines großen äthiopischen und kenianischen Freundeskreis geworden und zuletzt durch die Heirat meiner Frau auch Teil einer kenianischen Familie. Ich hoffe, dass ich mit diesen regionalen Einblicken in das östliche Afrika dann zukünftig beruflich positiv zur Gestaltung der Beziehungen zwischen Deutschland, Europa und den Ländern der Region beitragen kann.
Wie lange waren Sie in diesen beiden Ländern? Welche wesentlichen Unterschiede haben Sie während Ihres Aufenthalts in den beiden Ländern festgestellt?
Mein Aufenthalt in beiden Ländern war auf jeweils zwei Semester begrenzt. Zusammen mit den Semesterferien war ich dann ein Jahr in Äthiopien und ein Jahr in Kenia. Im Hinblick auf Unterschiede fallen mir zuallererst Unterschiede im Sozialleben ein. Gerade unterstützt durch die äthiopische Kaffeekultur habe ich meinen Aufenthalt in Addis Abeba als sehr kommunikativ und lebendig erlebt. Das hat mich fasziniert. Egal wo ich mich hinsetzte, kam ich sofort mit Menschen ins Gespräch. Dabei halfen mir besonders meine Amharisch-Sprachkenntnisse. In Nairobi habe ich die Menschen deutlich verschlossener wahrgenommen. Trotz meiner Kiswahili-Sprachkenntnisse blieb es selbst beim Mittagessen in Kibandas häufig nur bei einsilbigen Konversationen.
Überhaupt würde ich sagen, dass das Leben in Nairobi viel individualistischer ist als das in Addis Abeba. Leben in Addis Abeba ist sehr stark in Tradition verankert. Jedes Jahr hat einen festen Ablauf mit Festen, welche die ganze Stadt auf die Straßen lockt, bei denen Musik in immer gleichen Rhythmen gespielt wird und die Menschen häufig in traditioneller Kleidung jahrhundertealte Tänze tanzen. Viele Menschen sind tief religiös und gehen teilweise sogar täglich zum Beten in die Kirche. Und trifft man auf der Straße Bekannte, nimmt man sich häufig viel Zeit für ausschweifende Begrüßungsrituale. Dadurch wirkt das Leben häufig entschleunigt.
In Nairobi hingegen habe ich das Lebens als viel liberaler und schnelllebiger wahrgenommen. Als ich mich, wie schon in Addis Abeba, bei einem traditionellen Tanzkurs anmelden wollte, stieß ich anstelle der gesuchten Kurse auf jede Menge Contemporary Dance. Und wie ich später feststellte, wäre ich auf Festen in Nairobi für traditionelle Tänze vermutlich auch eher belächelt worden.
Während das Leben in Addis also in seinen traditionellen Bahnen voranschreitet, habe ich in Nairobi viele junge Menschen getroffen, die nicht einfach auf Veränderung warten, sondern im Gegenteil kaum warten können ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Diese Kreativität und damit das gesellschaftliche Engagement vieler Menschen hat mich in Nairobi von Anfang an genauso wie die Gesprächigkeit im Buna Bet in Addis Abeba beeindruckt.
Sie sprechen sehr gut Suaheli. Wann haben Sie angefangen, die Sprache zu lernen?
Zuerst einmal vielen Dank für das Kompliment. Es freut mich, dass Sie es wertschätzen. Das Erlernen der Landessprachen, in Äthiopien Amharisch und in Kenia Kiswahili, war mir neben den Inhalten meines Studiums immer ein Kernanliegen meiner Auslandsaufenthalte, um mich vor Ort in die Gesellschaft integrieren zu können. Ich habe etwa ein halbes Jahr vor Beginn meines Auslandsjahres angefangen mir eigenständig mit einem Buch Kiswahili beizubringen und es dann im Laufe des Jahres mit zwei DAAD-geförderten Sprachkursen vertieft. Jetzt nach einem Jahr in Kenia mit täglichen Konversationen in Kiswahili auf der Straße habe ich das Gefühl mich problemlos mit Menschen austauschen zu können. In diesem Prozess haben mich natürlich auch meine Frau und meine kenianische Familie stark unterstützt.
Wie waren Ihre akademischen und persönlichen Erfahrungen in Kenia? Bitte erzählen Sie uns mehr darüber und ob Erwartungen erfüllt wurden!
Das Leben in und außerhalb Kenias Universitäten ist natürlich zunächst einmal sehr anders als das, was ich aus Deutschland gewohnt bin. Dies hat einiges an Anpassungsfähigkeit von mir verlangt. Das Studium in Kenia ist beispielsweise sehr verschult, mit einem klar vorgegebenen Kursplan, den man sozusagen im Klassenverband durchläuft. Kurse sind dabei überwiegend durch Frontalunterricht geprägt und haben in meinem Fall alle zum Semesterende mit einer schriftlichen Prüfung geendet. Zudem gab es dann im Laufe des Semesters in jedem Kurs mehr als 20-seitige Hausarbeiten zu schreiben, für die nur sehr wenig Zeit zur Verfügung stand. Dies stand in einem starken Kontrast zur nahezu gänzlich freien Kurswahl in meinem Studiengang in Berlin und der vertieften Arbeit an einem Thema in Hausarbeiten über die Semesterferien.
Nichtsdestotrotz hat mir auch das Studium an der University of Nairobi einige Freiräume zur tieferen Beschäftigung mit eigenen Themen gegeben. In einem Kurs, in welchem ein Forschungsproposal erstellt werden sollte, hatte ich zum Beispiel die Möglichkeit mich tiefer mit dem Konflikt in Äthiopiens Tigray-Region zu beschäftigen und ihn mit meinem Aufenthalt in Kenia zu verbinden. Entstanden ist die Arbeit: „From polite pleas to non-indifference? Examining Kenya’s commitment to AU’s non-indifference principle as part of the A3 in the UNSC with regard to Ethiopia’s Tigray conflict.”
Auch wenn das Lernen im Klassenverband manchmal einschränkend wirkt, hat es aber natürlich auch gerade auf den sozialen Austausch mit Kommilitonen einen sehr positiven Einfluss. So entstand aus dem engen Kontakt beispielsweise eine Diskussionsgruppe mit fünf meiner kenianischen Mitstudierenden. Jede Woche setzten wir uns zweimal gemeinsam zusammen, um über den aktuellen Inhalt unserer Kurse zu debattieren, aber natürlich auch, um uns privat auszutauschen. Dies war besonders schön, da in meiner Zeit an der University of Nairobi weiterhin so gut wie alle Lehrveranstaltungen online stattfanden, obwohl sonst eigentlich alle coronabedingten Einschränkungen im Land aufgehoben wurden.
Was das generelle Leben außerhalb der Universität betrifft, ist es natürlich so, dass man als Ausländer, der nun mal sehr anders aussieht, natürlich auffällt. Daraus entstehen schnell Begegnungen mit Menschen, die positiv wie negativ ausfallen können. Gerade in Verbindung mit meinen Kiswahili-Sprachkenntnissen sind über das Jahr viele schöne Gespräche mit Menschen zustande gekommen, die interessiert an meinem Vorhaben in Kenia waren.
Auf der Kehrseite stehen aber auch einige unschöne Erfahrungen mit Alltagsrassismus, die ich in ähnlicher Form auch in Äthiopien erlebte. So betrat ich beispielsweise einmal ein kenianisches Restaurant in Nairobis Innenstadt und auf mein Betreten des Raumes hin fing eine kenianische Kundin an sich zu beschweren. Ihr Essen sein angeblich noch nicht fertiggewesen, weil hier ja „Weiße“ bevorzugt behandelt werden. Ich war zu diesem Zeitraum der einzige „weiße“ Gast und hatte mich noch nicht einmal an einen Tisch gesetzt. Zu anderen Situationen zählen auch die sich wiederholenden Vorfälle, in denen ich auf Grund des Dabei-Seins meiner kenianischen Frau als „Sponsor“ beleidigt werde.
Hier mache ich mir dann aber immer wieder bewusst, dass die überwiegende Mehrheit meiner Begegnungen mit Menschen vor Ort jedoch positiv ausfallen. Ich habe über die zwei Jahre auf dem afrikanischen Kontinent gelernt mit diesen negativen Erfahrungen umzugehen, je nach Person etwas zu sagen oder auch nicht und mir dadurch insgesamt nicht mein positives Bild nehmen zu lassen. Gerade durch die Heirat meiner kenianischen Frau wurde ich zuletzt herzlich in eine kenianische Familie aufgenommen und fühle mich so auch als Teil der kenianischen Gesellschaft. Meine Erwartungen an das Jahr in Kenia sind damit mit Blick auf das Akademische erfüllt und das Private weit übertroffen worden.
Sie sind daran interessiert, gleichberechtigte Beziehungen zwischen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, insbesondere aus Europa und Afrika, zu schaffen. Wie kann dies am besten erreicht werden?
Ja, in der Tat. Das ist mir eine Herzensangelegenheit. Zuerst einmal denke ich, ist es wichtig, viel mehr persönliche Begegnungen zwischen Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt zu schaffen. Und dabei, ich denke das ist essentiell, müssen wir alle zu uns selbst radikal ehrlich sein. Egal wo wir herkommen, wir sind auf Grund unserer Sozialisation alle mit rassistischen Vorurteilen aufgewachsen. Das bezieht sich nicht nur auf Vorurteile, die die Dimension der Hautfarbe betreffen, sondern auch solche zwischen Menschen, die für die meisten Menschen in Ostafrika „weiß“ sind, oder zwischen denen, die für die meisten Europäer „schwarz“ sind. Unser erstes Ziel sollte also sein uns dessen bewusst zu werden und in den Begegnungen mit Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt diese Vorurteile abzubauen.
Ich wünsche mir also mehr ehrliche persönliche Begegnungen, in denen wir unsere Vorurteile gemeinsam abbauen.
Bei der Schaffung dieser Begegnungen können dann natürlich auch staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen wie auch der DAAD unterstützend mitwirken. All dies wäre meines Erachtens ein Schritt in die richtige Richtung.
Was sind Ihre Zukunftspläne?
Als nächstes werde ich Mitte Oktober erst einmal nach Berlin zurückkehren. Hier warten noch zwei Semester meines Masterstudiums an der Humboldt-Universität auf mich. Und dann hoffe ich, dass meine Frau mir zeitnah folgen kann und in Deutschland ebenso gut ankommen wird, wie ich es in Kenia und Äthiopien konnte. Nach ein paar Jahren, so ist aktuell der Plan, würden wir dann aber gerne auch ins östliche Afrika beruflich zurückkehren. Ich kann mir dabei eine Tätigkeit im Umfeld der Vereinten Nationen gut vorstellen. Dabei beschränken wir uns nicht nur auf Äthiopien und Kenia, auch anderen Ländern der Region gegenüber sind wir sehr aufgeschlossen. Bis dahin werde ich mich aber wie gesagt zunächst noch meinem Studium in Berlin widmen. Dann konkretisieren wir unseren Plan.
Wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für Ihr Studium und Ihr Privatleben!